Springe zum Inhalt

Die Simple Minds in Olsberg

Nach uns wird es nur noch kälter

Eine Hymne auf eine tolle Generation

Es ist nicht schön zu sehen, wie Jugend-Helden alt werden. Denn das zeigt ja nur, dass man selbst alt wird. Außerdem haben Helden per se auf immer jung zu bleiben. Sei's drum. Jim Kerr, Jahrgang 1959, Sänger der schottischen Rockband Simple Minds, ist so ein alternder Held. Früher, in den 1980er Jahren, füllte seine Band mit Songs wie Don’t You oder Sanctify Yourself ganze Fußballstadien. Doch das ist lange her. Heute treten die Simple Minds sogar in Schützenhallen auf. So wie kürzlich in meinem Geburtsort Oldsberg im tiefsten Hochsauerland (NRW).

Jim Kerr von den Simple Minds bei einem Auftritt in Olsberg im Sauerland
Jim Kerr in Aktion

Man muss sich das vorstellen: Die Simple Minds, einst Halbgötter der Musikszene, im westfälischen Olsberg, einem Städtchen, das ohne Eingemeindungen nur rund 4000 Einwohner zählt, und in einer Halle, wo sonst hauptsächlich kleine Coverbands auftreten und einmal im Jahr mit viel Bier und Blasmusik Schützenfest gefeiert wird! 


Rund 2000 Menschen wollten sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Auch ich nicht! Und Jim Kerr, das muss man zugeben, gab sein Bestes, um uns nicht zu enttäuschen. Sang und spielte mit seiner Band die alten Hits, machte die alten Gesten, rannte von einer Bühnenseite zur anderen, suchte den Kontakt zum Publikum. Ein Vollprofi, der sein Programm abspult. 

Vorwärts in die Vergangenheit

Trotzdem: Der Jim Kerr von heute ist nicht mehr der Jim Kerr der 1980er. Seine Stimme hat das große Pathos verloren, klingt manchmal viel zu tief, mitunter auch falsch. Es fehlt auch die Freude, das Innovative und Frische der Erfolgsjahre. Doch ist das ein Wunder nach über 30 Jahren? Und ist das schlimm? Ich finde nicht. Im Gegenteil: Der Auftritt von Jim Kerr und den Simple Minds in Olsberg hat mich tief bewegt. Warum? Weil sich hier ein Held meiner Generation mühte, die Vergangenheit ins Jetzt zurückzuholen. Mit Schwächen, vielleicht auch mit Kalkül, aber mit Stolz und ohne sich ihrer zu schämen. Angefeuert und gefeiert von lauter Mitt- und Endvierzigern. Und so wurde das Konzert in Olsberg für mich ganz persönlich zu einer Hymne auf eine tolle Generation, meine Generation, der in den 1960er Jahren Geborenen und in den 1970er und 1980er Jahren Aufgewachsenen.

Simple-Minds-Konzert in Olsberg
Wir hatten noch keine Handys

Wir hatten noch keine Computer und keine Smartphones und trotzdem klappten unsere Verabredungen. Wir wollten leben wie der Mann in den Bergen. Wir fuhren Mofa und banden uns gegen den Fahrtwind Batiktücher vors Gesicht. Wir spielten in der Jugenddisko Flaschendrehen um den ersten Kuss. Wir tranken Bier in Bushaltestellen und mixten uns Cola-Korn noch selbst. Wir demonstrierten gegen den Nato-Doppelbeschluss und die kalten Krieger Schmidt und Strauß. Wir träumten von einem eigenen Bonanza-Fahrrad und Turnschuhen von adidas. Wir drehten Javaanse-Jongens-Zigaretten und haschten Schwarzen Afghanen. Wir hörten Konstantin Wecker und grölten auf BAP-Konzerten Verdamp lang her. Wir trugen weite Hosen und Lederjacken mit Anti-Atomkraft-Buttons. Wir verweigerten den Wehr- und machten Zivildienst. Wir lasen Hesse und Hemingway. Wir spielten Gitarre an Lagerfeuern und diskutierten über Bhagwan und Gott. Wir bewunderten Jim Morrison und wollten auch mit 27 sterben.

Kein Grund zum Schämen

Und heute? Einige von uns sind wirklich schon gestorben. Doch das sind zum Glück Ausnahmen. Die meisten von uns stehen mitten in der Mitte ihres Lebens. Zeit zum Innehalten. Was ist aus uns geworden? Sind wir glücklich oder unglücklich? Schwer zu sagen. Wir haben uns angepasst und arrangiert und versuchen irgendwie, das Feuer nicht ausgehen zu lassen. Doch unsere Zeit läuft langsam ab, das ist klar. Wir sind die letzte Generation vor Beginn des digitalen Zeitalters. Nach uns wird es nur noch kälter werden. Genießen wir also das Jetzt und seien wir stolz auf uns. Wir haben keinen Grund uns zu schämen. Zum großen Stadionkonzert reicht es vielleicht nicht mehr, aber in Schützenhallen da können wir immer noch super abfeiern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen